Glasplatten und Dias

Jedes Detail zählt

In Europa gibt es im Moment weder im Regelwerk Metamorfoze noch in der ISO TS 19264 ausgearbeitete Spezifikationen für Durchlichtmaterialien. Die Empfehlungen der DFG zur Digitalisierung geben an, nach Größe der Vorlage geordnet, sich an den US-amerikanischen FADGI-Standard anzulehnen, der mit der Library of Congress erarbeitet wurde. Für deren strikte Umsetzung sind teure amerikanische Durchlichttargets und deren spezialisierte Software nötig, um damit maschinelle Auswertungen von Detailkontrast und Tonwerten vornehmen zu können. Eine europäische Lösung für einen referenziellen und durch Dritte überprüfbaren Durchlicht-Workflow ist derzeit noch nicht in Sicht.

FADGI spricht sich bei hohen Ansprüchen an eine Archiv-Masterdatei für eine Aufnahme des historischen S/W-Negativmaterials im RGB-Modus aus. Darin sind alle wichtigen Bildinformationen gesichert, wenn doch mit einem profilierten Bildsystem die nötigen Farb- und Tonwerte in linearer Gradation referenziell überführt werden. Die Farbigkeit macht auf der Schichtseite Retuschefarbe sichtbar und lässt Rückschlüsse für den Fotorestaurator und Konservator zu, welche chemischen Schäden vorliegen und behandelt werden können. Neben gelb- oder rotstichigen Nuancen können in der RGB-Negativ-Wahrnehmung natürlich auch cyan- und blaustichige Verfärbungen hervortreten. Die hohe Detailtreue von mindestens 1200ppi bis 5000ppi lässt etwa mechanische Emulsionsschäden durch Ablösung am Original sehr genau, durch die starke Vergrößerung für das menschliche Auge, im Digitalisat erkennen.

Emulsionsablösung am Rand eines Glasplattennegativs vor 1918 bei 1200ppi.

Zwei gegensätzliche Ansichten

Neben dieser Quell- oder Archivmasterdatei benötigen Sammlungen und Archive umgewandelte, seitenrichtige Positivdateien der farbigen Negativinformationen zur Lesbarkeit des Bildinhaltes, daraus folgend zur Nutzung für wissenschaftliche Bilderschliessung, institutionsübergreifende Recherche sowie für Publikationen und Ausstellungen. In der Regel sind bei dieser Nutzung die Farbinformationen störend, da diese in ihre Komplementärfarben konvertiert werden würden, was niemandem nützt: aus einem Gelb- wird ein Blaustich, aus einem Blau- ein Gelbstich. Lediglich die Helligkeitswerte möglicher (farbigen) Veränderungen bleiben in einer positiven Graustufen-Datei komplementär erhalten und sichtbar.

In den DFG-Praxisregeln „Digitalisierung“, 12.151 – 12/16, S. 24, steht: 
“Die positive Darstellung eines Masters ist aber im Regelfall zu flau […]. Um das Motiv im digitalen Fotoabzug klar erkennbar wiederzugeben, ist daher eine beträchtliche Bildkorrektur nötig.”

Die transformierte Positivdatei aus der Archivmasterdatei ist also eine Konstruktion zur menschlichen Lesbarkeit und Verwertung, etwa für die Vervielfältigung. Einem Irrtum gleicht die Annahme, diese Umwandlung geschehe per Knopfdruck und würde keine weitere Arbeit verursachen. Genau das Gegenteil ist der Fall, da die analogen Negative einer unterschiedlich starken Belichtung durch den Urheber ausgesetzt wurden und unterschiedliche Motivkontraste vorliegen können. Kaum ein Motiv gleicht dem anderen. Die sogenannte Dichte der analogen fotografischen Emulsion kann im Falle einer Unterbelichtung durch den Fotografen sehr gering sein. Das Negativ ist dort sehr tranparent, das Positiv wirkt hingegen zu dunkel. Bei einer Überbelichtung des Motivs verhält es sich mit hoher Dichte genau umgekehrt. Ebenso kann bei hohem Kontrast in einer Motivszene, der von der Empfindlichkeit oder dem Dynamikbereich des Materials nicht bewältigt werden konnte, Kombinationen von Unter- und Überbelichtung in einem Negativ auftreten.

Interpretation versus Quelldaten

In allen Fällen unterliegt der Operator einer Negativdigitalisierung den Gesetzmäßigkeiten, denen auch der historische Bildautor ausgeliefert war. Die Transformation der Graustufen in der historischen Dunkelkammer zu einem handwerklich einwandfreiem Abzug erforderte immer schon die subjektive Anpassung der bildbestimmenden Töne an die Lichter und Tiefen, ohne Bildinformationen zu entfernen (clipping). Ein Künstler erweiterte oder zerschlug diese Anforderung noch, indem er manipulierte, bis seine einzig gültige Bildaussage erzielt worden war. Ob diese oder rein handwerkliche Handlungsweisen, das Positiv als Abzug oder als Datei stellt immer eine nach menschlichem Ermessen gültige Interpretation dar.

Anforderungen ermitteln

Lassen Sie sich beraten, wie ein Anforderungskatalog einer Digitalisierung Ihrer Glasplattensammlung aussehen könnte. Benötigen Sie tatsächlich handfeste Nachweise aus FADGI-Protokollen? Welche anderen Möglichkeiten des Qualitätsnachweises gibt es? Benötigen Sie überhaupt eine Archivmasterdatei? Welche Anforderungen stellen Sie an die Positiv-Interpretation? Gibt es bereits zu Negativen historische Originalabzüge? Was macht davon Sinn, digitalisiert zu werden?